WARUM KINDER VON FIRMENPATRIACHEN OFT SCHEITERN

 

Sie stehen im Schatten des übermächtigen Patriarchen. Söhne und Töchter erfolgreicher Unternehmer werden oft zur Nachfolge im Familienunternehmen gedrängt. Doch als Privileg empfinden es die wenigsten. Viele scheitern am enormen Druck der Familie und sind mit der Führung des Unternehmens überfordert.

 

Ein Kinobesuch, ein Eis oder ein Micky-Mouse-Heft - all das hat es für den kleinen Walter Rohrling niemals gegeben. Natürlich hätte die Familie es sich leisten können, sogar mehr als jede andere am Ort. Schließlich gehörte ihnen ein florierendes, 500 Mann starkes Industrieunternehmen bei Frankfurt.

 

Doch wenn immer sich Rohrling als kleiner Junge in das Büro seines Vaters schob und ihn um etwas bat, und war der Wunsch auch noch so klein: Barsch wurde er zurückgewiesen: "Nein!", sagte der Vater bestimmt. Ein Rohrling sei bescheiden. "Was wir haben, wird wieder in Firma gesteckt."

 

"Ja, die Firma", sagt Walter Rohrling heute, Jahrzehnte sind inzwischen vergangen, und in das Kindergesicht von einst haben sich die Falten eingegraben. Die Firma sei neben ihm und dem Bruder Klaus das dritte Kind seiner Eltern gewesen: "Wir haben immer eine Schwester gehabt, und die hat immer alles bekommen."

 

Nun heißt Walter Rohrling in Wirklichkeit anders. Doch seinen echten Namen will der Mann mit dem grauen, leicht gelockten Haar nicht in der Zeitung lesen. Auch mit 49 Jahren noch ist die Angst zu groß, offen und eindeutig Kritik an den Eltern zu üben, ihren Betrieb womöglich in Verruf zu bringen.

 

Tatsächlich sind familiäre Konflikte wie die, die Rohrling erlebte, noch immer ein Tabu in deutschen Familienunternehmen. Auch 150 Jahre nach ihrer Zeit haben die berühmten Romanfiguren in Thomas Manns "Buddenbrooks" an Modernität nicht verloren: Selbst zu Beginn des dritten Jahrtausends spüren Unternehmerkinder den Sog und die Pflicht, sich selbst der elterlichen Firma unterzuordnen – auch wenn dabei im Extremfall das persönliche Glück geopfert wird oder gar der Familienbetrieb niedergeht.

 

So erging es den Rohrling-Sprösslingen tatsächlich wie vielen Kindern, die das Glück – oder die lebenslange Aufgabe – haben, als Nachkomme erfolgreicher Unternehmer geboren zu werden: Privilegiert wachsen sie auf. Geld, Bildung und prominente Kontakte werden ihnen in die Wiege gelegt. Doch zugleich müssen sie mit ansehen, wie die familieneigene Firma viel mehr Zeit und Geld von den Eltern bekommt als sie selbst.

 

Ein Gefühl, an das sich Walter Rohrling lebhaft erinnern kann. Vor allem die Firma sei es gewesen, die seine Eltern mit Stolz erfüllt habe. Manchmal schien es ihm, als liebten Vater und Mutter die "Tochter" mehr als die beiden Kinder. Noch dazu war Walter das natürlichste Gefühl der Welt von Anbeginn versagt: Nicht einmal hassen durfte er seine Konkurrentin. Denn als erstgeborenem Sohn war ihm von Geburt an klar, dass er die ungeliebte Schwester dereinst würde als sein eigenes Kind annehmen müssen.

 

Dieser Druck habe über Jahre hinweg schwer auf ihm gelastet, sagt Rohrling heute. Am Ende jedoch kam es anders. Der Mann, der seinen roten Schal auch im Restaurant ungern ablegt, kehrte sich ab von dem für ihn bestimmten Weg. So viel Nähe zum Vater hätte er nicht ertragen, sagt der Mann heute. Er wurde Psychologe, das Unternehmen des Vaters hat weder er noch sein Bruder übernommen.

 

Rohrlings Geschichte ist sicher extrem, doch sie ereignet sich in ähnlicher Form wohl tausendfach in diesen Jahren. Einer Studie der Beratung PricewaterhouseCoopers zufolge suchen jährlich über 70.000 Familienunternehmer hierzulande nach einem Nachfolger und würden wohl nichts sehnlicher wünschen, als ihre eigene Brut an der Spitze des Lebenswerks zu platzieren.

 

Doch nur jedem Zweiten der Erfolgsmenschen ist in dieser Lebensaufgabe Erfolg beschieden: Mehr als 50 Prozent, schätzen Experten, der Nachfolgen von Vater auf Sohn (oder Tochter) schlagen fehl. Weil der Nachwuchs nicht soll, weil er nicht will oder weil er schlicht nicht dazu in der Lage ist.

 

Sei es Philipp Daniel Merckle, der nach kurzem Auftritt im Firmenreich des Vaters und Patriarchen Adolf Merckle die Firma wieder verlassen musste – wohl vor allem weil das Managementverständnis von Vater und Sohn nicht miteinander vereinbar war. Alexander Falk, glückloser Sohn des Falk-Stadtpläne-Erfinders Gerhard Falk, der sein Erbe verpulverte, sich als Unternehmer versuchte und später wegen Betrugverdachts im Gefängnis landete. Oder Britta, Cornelia und Ute Steilmann, die sich alle drei auf dem Chefsessel im väterlichen Modeimperium versuchten – das Unternehmen jedoch weiter in die Krise manövrierten, wohl auch weil ihnen das unternehmerische Geschick des Vaters nicht gegeben war.

 

Die Probleme sind vielfältig, und es wäre zu kurz gegriffen, gescheiterte Nachfolgen allein auf das schwierige Verhältnis zwischen Unternehmern und ihren Kindern zu reduzieren. Dennoch berichten viele Betroffene, wie sehr der väterliche Erfolg sie geprägt hat. Wie er sich schattenartig über das Leben der Söhne und Töchter legt – und wie er zermürben kann.

 

"Jeder von uns arbeitet sich am Vater ab", brachte Frank Otto das Dilemma auf den Punkt. Der zweite Sohn des Hamburger Versandhandelgründers Werner Otto wurde Künstler und Medienunternehmer, statt sich in das elterliche Imperium einzubringen. Auch sein Neffe Benjamin spricht vom immensen Druck, der auf Menschen wie ihm laste. "Wenn man aus einer solchen Familie kommt, will man etwas erreichen. Wenn Vater und Großvater erfolgreich waren, möchte man auch erfolgreich sein."

 

Wie schwierig es für Kinder erfolgreicher Väter sein kann, sich abzuwenden vom vorgetrampelten Pfad in die Chefetage, musste auch Walter Rohrling erfahren. Seit der Geburt war ihm eingeimpft worden, was von ihm erwartet wurde: Wie der Vater und wie die Firma sollte der Erstgeborene heißen, das stand fest, bevor seine Mutter erste Klopfzeichen ihres Babys im Bauch vernahm.

 

Der Vater hatte Glück. Ein Sohn, Walter, ward ihm geboren. Und als wolle er alle künftigen Zweifel des Sohnes im Keim ersticken, gab er ihm den Namen seines Großvaters dazu: Eduard, der das Unternehmen einst gegründet hatte. "Damit war von Anfang an klar, wem mein Leben gehören sollte", sagt Rohrling heute.

 

Die Namensgebung ist ein Symbol für die Probleme vieler Unternehmerkinder, ein Gespür für die eigene Identität zu entwickeln: "Gerade erfolgreiche Unternehmer versuchen auf Gedeih und Verderb, in ihren Söhnen ein Ebenbild zu sehen", sagt Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen.

 

Sie wollten oftmals nicht einmal in Erwägung ziehen, dass ihre Sprösslinge anders geartet sein könnten als sie selbst – und sei es nur, dass sie weniger erfolgshungrig sind. Zwar seien die Väter meist in der Lage, die Fähigkeiten ihrer Kinder richtig einzuschätzen, sagt Otto W. Obermaier von der Personalberatung Spencer Stuart. "Wenn Sohn oder Tochter nicht zum Nachfolger taugt, haben sie aber oft einfach nicht die Kraft, sich das auch einzugestehen."

 

Familie als Träger eines Konzerns: eine Sackgasse

 

Der Gedanke, dass allein die Gene erfolgreicher Vorfahren keineswegs den Erfolg garantieren, hatte auch den verstorbenen Verleger Reinhard Mohn tief bewegt: "Ich habe mir Gedanken gemacht, ob eine Familie weiter als Träger eines Unternehmens auftreten kann", so der langjährige Bertelsmann-Chef, der den Familienbetrieb zum heute größten Medienhaus Europas gemacht hatte.

 

 

 

Das sei eine schlimme Sackgasse, fügte er hinzu und forderte daher für das eigene Haus, den Einfluss der Familie zu beschränken – ein Grundsatz, von dem er später freilich abweichen sollte. De facto schadet eine allzu starke Konzentration auf die Kinder bei der Nachfolgesuche bisweilen nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Kindern. Gerade sensible Nachkommen litten stark darunter, sagen Psychologen, wenn sie von Geburt an kein Recht zum Scheitern hätten.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass die Väter in existenziellen Lebensfragen oft nicht die besten Berater für ihre Kinder sind: "Ein Unternehmervater urteilt selbst bei innerfamiliären Angelegenheiten häufig nicht nur als Vater, sondern zugleich als Führungskraft und Eigentümer seines Unternehmens", sagt Obermaier. Ein Interessengeflecht, das für Vater und Sprössling oft nur schwer zu entwirren sei.

 

Firma bestimmt die Identität des Nachfolgers

 

So hat es auch Walter Rohrling erlebt. Sein Vater habe selten wirklich als Vater agiert, stattdessen habe die Firma seine Identität bestimmt, analysiert der Psychologe heute. "Ich lernte früh, dass mein Vater sich für mich persönlich nicht interessierte." Was den Jungen bewegte, was ihn quälte, was ihn freute, war dem Unternehmer einerlei, solange es den Firmeninteressen nicht zuwiderlief.

 

Selbst als Walter dem Vater später die Frau seines Lebens vorstellte, reagierte der Senior kaum. "Ihm war nur wichtig, dass sie auf alle Ansprüche gegen die Firma verzichtete." Am Morgen der Hochzeit rückte der Vater mit den Unterlagen an und forderte ihre Unterschrift.

 

Rohrlings Frau wütete, unterzeichnete schließlich aber doch. Auch er selbst empfand den Übergriff auf seine intimste Sphäre als tiefen, verletzenden Schnitt. Dennoch fügte er sich ebenfalls: Zu groß war die Furcht vor einem großen Konflikt, an dessen Ende der Niedergang der Familie und ihrer Firma hätte stehen können.

 

Wie Rohrling senior begehen viele erfolgreiche Väter den Fehler, die Privatsphäre ihrer potenziellen Nachfolger zu missachten, ihnen Lebenswege aufzudrücken und zu wenig Freiraum für die eigene Entwicklung zu lassen. Was die Alphatiere unter den Unternehmerkindern zu Widerspruch und Führungsstärke animiert, kann Spätzünder und weniger talentierte Sprösslinge richtiggehend schädigen. Denn wer aufwächst in dem steten Gefühl, die hohen Erwartungen des Vaters nicht erfüllen zu können, schärft nur den Blick für die eigenen Schwächen – das Gespür für die Stärken indes geht verloren.

 

Schwächen starten einen Teufelskreis

 

 "Richtig kritisch wird es, wenn das Umfeld die Unsicherheit des potenziellen Nachfolgers bemerkt", sagt Heidbreder von der Stiftung Familienunternehmen. Die Erwartungen an den Sohn würden dann automatisch heruntergeschraubt. Das spüre der Nachfahre, der - entmutigt durch wenig Zutrauen - schließlich tatsächlich schlechtere Leistungen erbringt. "Und dann beginnt der Teufelskreis."

 

Wie zerstörerisch es ist, wenn der Vater dem Sohn nichts zutraut, erfuhr auch Philipp Daniel Merckle während seiner Zeit im väterlichen Konzern. "Wenn ich nach außen meine Standpunkte erklärte, musste ich mir intern anhören: ,Wie kannst du nur ... dann müssen wir uns ja auch noch daran halten", sagte er ein paar Monate nach dem Selbstmord seines Vaters in einem "Spiegel"-Interview.

 

Er habe dagegen argumentiert, dass man ein System nicht heimlich ändern könne, nur weil man fürchte, dabei irgendjemandem auf die Füße zutreten. "Eigentlich dachte ich, mein Vater müsste stolz auf mich sein. War er aber nicht." Grundsätzlich habe bei ihm zu Hause eine Kultur der Sprachlosigkeit geherrscht.

 

Walter Rohrling empfand das Desinteresse des Vaters an dem, was der Sohn machte und dachte, allem voran als entmündigend. "Selbst als ich mich offiziell vom vorgeschriebenen Pfad des Vaters abgewandt hatte, Psychologie studierte und nach Amerika ging, hieß es immer noch: Das sind nur Flausen im Kopf, der kommt sowieso wieder zurück." Paradox sei diese konsequente Absage an den Willen des eigenen Sohns, wettert Rohrling, auch mit Jahrzehnten Distanz noch immer sichtlich bewegt. Als Wegbereiter für seinen eigenen Nachwuchs an der Unternehmensspitze hätte der Vater doch ein gesteigertes Interesse daran haben müssen, seinen Sohn zu herausragender Führungsstärke zu erziehen.

 

Angst der Väter vor der Überrundung

 

De facto sind sich mehr und mehr erfolgreiche Unternehmerväter heute im Klaren darüber, dass sie den Widerspruch ihrer Kinder dulden, ja nähren müssen, wenn diese irgendwann als fähige Nachfolger an den Start gehen sollen. Dass selbst der reflektierteste Vater dabei in der Praxis jedoch bisweilen an seine Grenzen gerät, weiß Mark K. Binz, Stuttgarter Anwalt und Honorarprofessor für Familienunternehmen, zu berichten. "Man will das Kind zum Widerspruch erziehen", sagt der Anwalt, der selbst fünf Kindern hat. "Aber zugleich tut es eben verdammt weh, wenn der vor Publikum eine andere Meinung als die eigene vertritt."

 

Mit dabei ist vermutlich auch die Urangst – und der Urwunsch – jedes Vaters, vom Spross, der ihn doch stets bewundert hat, eines Tages überrundet zu werden. Da durfte der Sohn dank Papas Moneten vielleicht in Harvard studieren, sinniert Binz. "Und tief im Seelchen des Vaters lauert die Angst, der top ausgebildete Sohn könne sich am Ende vielleicht für das Englisch des Vaters schämen."

 

Die Sache wird nicht einfacher, indem auch in scheinbar vor Selbstbewusstsein strotzenden Unternehmerkindern oft existenzielle Minderwertigkeitskomplexe schlummern. An vielen von ihnen nagt der Zweifel, ob sie in Wahrheit womöglich nur Träger erfolgreicher Namen sind statt wirkliche Leistungsträger. "Von der Außenwelt - manchmal schon in der Schule, spätestens beim Einstieg in die elterliche Firma – ist oft nur falsches Feedback zu erwarten", sagt Familienunternehmensexperte Heidbreder. Weil Mitarbeiter oft Nachteile fürchteten, wenn sie Kritik an künftigen Würdenträgern übten, würden Nachfolger zeit ihres Lebens um ehrliches Feedback betrogen.

 

Schwierigkeit des Loslassens

 

Die Furcht davor bewegte auch den badischen Unternehmer Manfred Fuchs dazu, seinen Sohn Stefan möglichst weit von sich selbst entfernt Managementerfahrungen sammeln zu lassen. So ging sein Sohn nach dem Studium und der Tätigkeit bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nach Amerika, um dort in einer US-Tochter des Konzerns zu arbeiten.

 

Zwar war der Chef des Weltmarktführers für Schmierstoffe damals nicht frei von der Angst, den talentierten jungen Mann an die große weite Welt zu verlieren. Doch als Beirat in etlichen anderen Familienunternehmen hatte der Senior schon zu oft mitansehen müssen, wie verheerend allzu großer Druck des Vaters auf den Nachfolger sein kann. "Wenn ich zu stark insistiert und ihm keinen Freiraum gelassen hätte, hätte ich ihn eher von unserem Unternehmen weg als zu ihm hin getrieben", sagt er.

 

Doch das Loslassenkönnen des Vaters war nur einer von mehreren Faktoren, die den Stabwechsel vor mittlerweile sechs Jahren am Ende erfolgreich machten. Nicht minder wichtig war wohl, dass der Senior tatsächlich loslassen wollte von der Macht. 41 Jahre lang hatte Manfred Fuchs die Geschäfte geführt, doch anders als viele seiner Unternehmerkollegen freute er sich auf den Moment, an dem er die Verantwortung für dieses Lebenswerk an seinen Sohn abgeben konnte.

 

Über Jahre hinweg hatte der künstlerisch interessierte Unternehmer auch neben dem Beruf so viel Zeit wie möglich der Malerei, Literatur und Musik gewidmet – wie auch zahlreichen Ehrenämtern in seiner Heimatstadt. "So etwas erleichtert das Loslassenkönnen immens", sagt Fuchs – um gleich darauf einzuschränken: "Allerdings nur, wenn einem – wie mir – das Glück eines tüchtigen Sohnes beschieden ist."

 

Wie Stefan Fuchs entfernte sich auch Rohrling von seinem Vater. Erst räumlich, indem er nach Amerika ging, später auch inhaltlich, indem er Psychologie studierte. Der Kontakt zu Vater und Mutter ist heute distanziert-diszipliniert, wie schon das ganze Leben lang. Nur die Schwester, die väterliche Firma, hat er doch in sein Herz aufgenommen: Als der Vater sich vor Jahren aus dem Vorstand zurückzog, habe er ernsthaft erwogen zu übernehmen, sagt Rohrling heute. Er entschied sich dagegen, ein externer Manager wurde eingesetzt.

 

Rohrlings Sohn studiert heute BWL. Und wenn der irgendwann in die großväterliche Firma einsteigen wollte? Irgendwie, sagt Rohrling, würde er sich doch freuen. (Quelle: AOL Finanzen in Zusammenarbeit mit Welt Online - 28.2.10)

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