von Katrin Schönfeld
Das Jahr 2010 wurde von den Vereinten Nationen (UN) zum "Jahr der Artenvielfalt" ("International Year of Biodiversity") erklärt. Damit soll auf den drohenden Verlust der Vielfalt der Natur aufmerksam gemacht werden. Auf der nächsten Artenschutzkonferenz im Oktober in Nagayo/ Japan soll überprüft werden, inwieweit die Ziele des internationalen Übereinkommens erreicht wurden. Das erklärte Ziel lautet, die Natur - und damit auch die Lebensgrundlage künftiger Generationen - zu wahren und das Artensterben deutlich zu verringern.
Dieses Ziel haben die Vereinten Nationen (UN) im Jahr 1992 auf der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im so genannten "Internationalen Übereinkommen über die biologische Vielfalt" festgelegt. Inzwischen haben 193 Staaten diesen völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet.
Unter dem Begriff "biologische Vielfalt", auch Biodiversität genannt, versteht man die Vielfalt des Lebens auf der Erde. Damit sind zum einen die verschiedenen Arten und Unterarten von Tieren, Pflanzen, Moosen, Flechten, Pilzen und Mikroorganismen gemeint. Zum anderen zählen die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und die Lebensräume aller Organismen dazu.
Dieses Jahr soll Rechenschaft über den Rückgang der Arten und schwindende Lebensräume der vergangenen Jahre abgelegt werden. Die Frage ist, inwieweit die weltweite Umweltzerstörung und deren verheerende Folgen noch aufgehalten werden können. Die meisten Länder werden ihre Ziele aller Voraussicht nach nicht erreichen. Nach der roten Liste der bedrohten Arten 2008, der ersten umfassenden Studie nach mehr als zehn Jahren, sind etwa ein Drittel aller Tier- und ein Viertel aller Säugetierarten vom Aussterben bedroht. Die Rote Liste wird von der Weltnaturschutzorganisation IUCN ("International Union for Conservation of Nature and Natural Resources") bekanntgegeben.
Gefährdete Artenvielfalt
Die weltweite Biodiversität ist stark gefährdet: Man geht davon aus, dass täglich etwa 150 Arten aussterben. Die genaue Zahl aller auf der Erde existierenden Arten ist nicht bekannt. Allgemein wird von etwa 14 Millionen Arten ausgegangen, von denen derzeit weltweit ungefähr 1,8 Millionen Arten bekannt und beschrieben sind. Die meisten Arten, etwa 70 Prozent, leben in den Tropen und Subtropen. Vermutet wird, dass allein in den tropischen Regenwäldern 40 bis 60 Prozent aller auf der Erde lebenden Arten beheimatet sind. Da bisher nur ein geringer Teil des dortigen Lebens erforscht wurde, sind viele Tier- und Pflanzenarten der Regenwälder noch unbekannt.
Bisher wurden ungefähr 40.000 Arten auf ihre Gefährdung hin untersucht. Laut Angaben der Weltnaturschutzorganisation IUCN gelten aktuell weltweit mehr als 16.000 Arten als vom Aussterben bedroht. In Deutschland sind 35 Prozent der einheimischen Tierarten und 26 Prozent der Pflanzenarten in ihrem Bestand gefährdet. Die Zerstörung der Waldflächen weltweit beträgt jährlich etwa 13 Millionen Hektar pro Jahr (ein Hektar sind 10.000 Quadratmeter). Wälder sind zum einen ein wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen, zum anderen entscheidend für ein gutes Klima, da sie Sauerstoff produzieren und ein wichtiger Senker für Kohlenstoffdioxid (CO2) sind - das bedeutet, dass sie mehr CO2 aufnehmen als abgeben.
Der Verlust von Lebensraum gilt als größte Bedrohung für die Artenvielfalt. Die Abholzung von Wäldern, die Überfischung der Meere, die Trockenlegung von Mooren und anderen Feuchtgebieten, Jagd, Überdüngung, der Bau von Siedlungen und nicht zuletzt der Klimawandel wirken sich verheerend auf die Natur und somit die Existenz allen Lebens auf der Erde aus. Das Leben in der Natur hängt entscheidend miteinander zusammen - so hat das Aussterben bestimmter Arten wiederum weitreichende Folgen für eine Vielzahl anderer Tiere und Pflanzen. Wie wichtig der Schutz der Natur ist, lässt sich gut an zwei augenscheinlich "unwichtigen" Beispielen erläutern: der Aufgabe der Bienen und dem Lauf von Flüssen.
Unverzichtbar für die Natur: Bienen
Zunächst zu den Bienen: Diese kleinen Insekten sorgen dafür, dass ein großer Teil der Natur, wie wir sie wahrnehmen, überhaupt existiert. Ihre wichtige Aufgabe ist die Bestäubung von Blütenpflanzen. Sie ernähren sich von deren Nektar - einer zuckerhaltigen Flüssigkeit, die meistens von den Blüten ausgeschieden wird - und den Pollen. Diese werden auch Blütenstaub genannt und enthalten die männlichen Erbinformationen der Pflanze.
Wenn die Biene in den Blütenkelch hineinkriecht, öffnen sich die Staubbeutel der Pflanze und Blütenstaub rieselt heraus. Meist bleiben einige Pollen am Pelz der Biene hängen und werden auf diese Weise von Blüte zu Blüte transportiert. Gelangen die Pollen zum weiblichen Blütenanteil derselben Pflanzenart - an die so genannte Narbe des Blütenstempels - ist die Befruchtung vollzogen. Während ihrer Nahrungsaufnahme sorgt die Biene somit dafür, dass sich viele Pflanzen vermehren können.
Ungefähr 80 von 100 Blütenpflanzen sind auf eine solche "Fremdbestäubung" angewiesen. Auch andere Insekten wie Schmetterlinge, Käfer und Hummeln sowie Wind und Wasser tragen zur Verbreitung des Blütenstaubs bei. Die Fortpflanzungschancen vieler Blütenpflanzen sind durch Bienen jedoch am höchsten: die Aufgabe der Bestäubung wird in einigen Gebieten beinahe ausschließlich von der Honigbiene erledigt. Ohne ihre Hilfe würden zahlreiche Pflanzenarten aussterben. In der Landwirtschaft würde dies eine weitaus geringere Ernte bedeuten. So sorgen zum großen Teil Bienen dafür, dass es Raps- oder Sonnenblumenfelder gibt. Der große Wissenschaftler Albert Einstein hat einmal gesagt: "Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr."
Mäander: Wichtig für viele Vögel und Fische
Ein anderes Beispiel für die große Bedeutung von kleinen Details der Natur ist der Lauf von Flüssen. Für die Schifffahrt wäre es sicherlich ein Vorteil, wenn ein natürlicher Fluss - wie ein künstlicher Kanal - schnurgerade verlaufen würde. Es gibt jedoch keinen natürlichen Fluss, der derartig verläuft. Schon bei einem leicht unregelmäßigen Untergrund fließt das Wasser nicht ganz gleichmäßig zum Ufer, sondern prallt an bestimmten Uferstellen ab und wird an die andere Seite des Ufers getragen. Nach und nach bilden sich Schlingen, die so genannten Mäander - der Fluss fließt also in Schlangenlinien. In den Kurven dieser Flüsse bildet sich durch die Fließbewegung ein besonderes Flussufer.
Dort, wo die Strömung auf das Flussufer prallt, trägt das Wasser Sand, Steine, Lehm und weiteres Bodenmaterial ab - es kommt zu einer Erosion ("Abtragung"). An der Innenseite des so genannten "Knies" fließt das Wasser dagegen langsamer. Dadurch wird weniger Material abgetragen, an dieser Stelle können sich mehr Schwebstoffe im Wasser absetzen und es bilden sich flache Sandbänke. An der Außenseite entsteht ein steiler Hang - der so genannte "Prallhang". Er kann vielen Tieren wie dem seltenen Eisvogel, der Uferschwalbe oder der Grabwespe als Nistplatz dienen. Gegenüber von diesem Prallhang befindet sich der so genannte "Gleithang". Dadurch, dass weniger Boden abgetragen wird und sich mehr Sand anlagern kann, entsteht dort eine langsam ansteigende Böschung. Manche Tiere bevorzugen das dortige Ufer als Nistplatz. Das Wasser am Gleithang ist die so genannte "Kinderstube" des Flusses, weil hier die Jungtiere vieler Fische eine gute Lebensumgebung finden und nicht von der stärkeren Wasserströmung fortgespült werden.
Flussbegradigungen zerstören Lebensraum
Begradigt man nun Flüsse, ist die Strömung überall ähnlich stark, und diese unterschiedlichen Uferformen können nicht entstehen. Das schränkt den Lebensraum vieler dort brütender Vögel sowie Insekten stark ein. Auch kleine und junge Fische finden in einem solchen Fluss schlechtere Lebensbedingungen vor. Zudem führen Flussbegradigungen dazu, dass Wasserläufe stark verkürzt werden. Dadurch verschwinden die natürlichen Rückhalteräume für Hochwasser, was die Überschwemmungsgefahr in Ortschaften und Städten erhöht. Im Falle von starkem Niederschlag kann es damit leicht zu Jahrhunderthochwassern wie zum Beispiel dem Elbehochwasser im Sommer 2002 kommen, da die steigenden Wasserwellen schneller vorankommen können.
An diesen Beispielen kann man also gut sehen, dass in der Natur vieles miteinander verknüpft ist und selbst unscheinbare Details große Wirkungen erzielen. Viele Funktionen der Natur wie natürliche Reinigungsmechanismen, darunter die Selbstreinigungskräfte der Böden und Gewässer sowie die Filterung der Luft durch Grünpflanzen, können vom Menschen in vielen Fällen überhaupt nicht oder nur mit erheblichem Aufwand und extrem hohen Kosten übernommen werden. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es so wichtig, sich für den Erhalt der Naturvielfalt einzusetzen. (Quelle: Helles-Koepfchen.de)