von Silke Bauerfeind
Untersuchungen zufolge hat einer von 20 Menschen im Laufe seines Lebens mindestens einen so genannten epileptischen Anfall. Wer schon einmal einen solchen "Krampfanfall" hatte, ist aber nicht automatisch auch an Epilepsie erkrankt. Dennoch ist sie die häufigste chronische (also lang andauernde oder dauerhafte) Krankheit des Nervensystems bei Kindern und Jugendlichen. Was ist Epilepsie genau, was passiert bei einem epileptischen Anfall und was bedeutet die Krankheit für Betroffene?
Der Begriff "Epilepsie" kommt aus dem Altgriechischen - das Wort "epílēpsis" bedeutet etwa "Anfall" oder "Übergriff". Im Deutschen wurde er für die Bezeichnung eines Krankheitsbildes eingeführt, das die Betroffenen manchmal als "zuckende Blitze im Gehirn" beschreiben - es fühlt sich für sie an, als werden sie plötzlich ergriffen oder gepackt, wie es der Wortstamm schon sagt. Ein leichter Anfall wird auch als "Wahrnehmung eines Lufthauches" ("Aura") beschrieben, der eher einem Vorgefühl für einen Anfall entspricht. Meistens können sich die Betroffenen daran erinnern und erzählen von Konzentrationsschwierigkeiten oder Vergesslichkeit, aber sie schildern auch Taubheitsgefühle, Kribbeln oder Nadelstiche in Körperteilen. Manche haben Halluzinationen oder unangenehme Gefühle in der Magengegend.
Meistens enden epileptische Anfälle nach einigen Minuten von selbst, aber es können auch mehrere Anfälle kurz hintereinander auftreten. Wenn Sie nach 20 Minuten nicht vorüber sind, spricht man von einem "Status epilepticus", der mitunter in Bewusstlosigkeit übergeht. Wenn ein Anfall sehr lange dauert, ist die Gefahr groß, dass das Gehirn Schäden davon trägt, die nicht wieder gutzumachen sind. Für Außenstehende sieht es meist so aus, als seien die Betroffenen geistig abwesend. Manche, die an Epilepsie erkrankt sind, zucken oder zittern bei einem Anfall. Man nennt einen epileptischen Anfall deshalb auch Krampfanfall. Danach sind die Erkrankten oft sehr müde, manche kann man nur schwer wecken und später erinnern sie sich meist nicht mehr daran.
Im antiken Griechenland stellte man sich unter Epilepsie eine heilige Krankheit vor, die dem Menschen durch Dämonen oder Götter auferlegt wurde. Sie wurde deshalb auch oft verheimlicht, man schämte sich dafür, weil man sie als Schande ansah. Auch in unserer heutigen Zeit gibt es noch viele Vorurteile, mit denen die Betroffenen umgehen müssen, weil die meisten Mitmenschen zu wenig darüber wissen und daher Angst vor dem Kontakt mit Erkrankten haben. Wichtig ist es zu wissen, dass Epilepsie keine Geisteskrankheit ist und keine Störung der Persönlichkeit des Menschen darstellt, sondern eine Krankheit eines Organs (des Gehirns) - so wie viele andere Krankheiten auch. Einige Menschen, die von Epilepsie betroffen sind, müssen zwar auch mit weiteren Beeinträchtigungen (wie zum Beispiel einer Zerebralparese oder geistigen Behinderung) leben - die meisten Betroffenen haben aber "nur" Epilepsie und sind ansonsten normal leistungsfähig und gesund.
N I C H T dasselbe: Epileptische Anfälle und Epilepsie
Normalerweise arbeiten in unserem Gehirn Milliarden von Nervenzellen über chemische und elektrische Signale miteinander perfekt zusammen. Wenn ein Krampfanfall auftritt, wird dieses Gleichgewicht gestört. Die Nervenzellen entladen sich dann zum Teil gleichzeitig und unkontrolliert. Dadurch werden Teile des Gehirns plötzlich zu sehr gereizt, so dass ein Anfall ausgelöst wird, der sich auch auf das ganze Gehirn ausbreiten kann.
Epileptische Anfälle und Epilepsie sind jedoch nicht dasselbe. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung erkranken im Laufe des Lebens an epileptischen Anfällen. Meistens treten diese aber nur vorübergehend auf und bedeuten nicht automatisch, dass eine Epilepsie vorliegt. Bei einem spontan auftretenden Anfall findet man auch nicht immer heraus, warum dieser stattgefunden hat. Mögliche Gründe sind zum Beispiel eine Entzündung im Gehirn, eine Vergiftung, eine Kopfverletzung, Alkoholentzug bei Suchtkranken, Sauerstoffmangel oder ein Stromschlag. Durch diese Einwirkungen entladen sich Neuronengruppen im Gehirn, die dann zu einem Krampfanfall führen.
Eine so genannte "aktive Epilepsie", also eine bleibende, entwickelt sich dagegen bei etwa 0,6 Prozent der Bevölkerung - von 200 Menschen ist davon mehr als einer betroffen. Erkrankte werden auch "Epileptiker" genannt. Durch eine stetige Veränderung des Gehirns treten die epileptischen Anfälle immer wieder auf und bleiben bei einigen Betroffenen ein Leben lang bestehen. Manche Epilepsien heilen aber auch aus. Vor allem kleine Kinder haben gute Chancen, dass die Epilepsie im Lauf der Zeit heilt.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland ungefähr 35.000 Menschen neu an Epilepsie. Es handelt sich aber nicht um eine Erbkrankheit - nur die Bereitschaft oder die Wahrscheinlichkeit, Krampfanfälle zu bekommen, wird bei etwa zehn Prozent der Menschen vererbt, ohne dass damit sicher ist, dass es tatsächlich zu epileptischen Anfällen kommen muss. Bei Kindern und Jugendlichen handelt es sich um die häufigste chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems.
Es gibt verschiedene Arten von Epilepsie
Je nachdem, welche Teile des Gehirns betroffen sind, unterscheidet man verschiedene Formen von Epilepsie. Es ist auch möglich, dass das gesamte Gehirn betroffen ist. So gibt es mehr als 30 Arten dieser Krankheit, die in "fokale" (einen Ort betreffende) und "generalisierte" (den ganzen Bereich betreffende) Formen unterteilt werden: Bei fokalen Anfällen findet der Krampf in einer bestimmten Region der Hirnrinde statt. Es kann sich dabei um einen leichten Anfall handeln, aber auch um einen "komplexen", also schwereren fokalen Anfall. Bei diesem haben die Betroffenen für einige Zeit ein getrübtes Bewusstsein - das heißt, sie wissen nicht mehr genau, was um sie herum geschieht oder können sich später nicht mehr daran erinnern.
Fokale Anfälle können sich ausbreiten und in generalisierte Anfälle übergehen. Bei generalisierten Anfällen ist das ganze Gehirn vom Krampf betroffen. Der Erkrankte ist dann bewusstseinsgetrübt oder verliert sogar das Bewusstsein - manche haben auch Muskelzuckungen, die den Mitmenschen auffallen. Zu beiden Arten gibt es weitere Unterformen. Außerdem existieren auch epileptische Anfälle, die man nicht genau zuordnen kann.
Epilepsien werden auch nach ihren Ursachen unterschieden: So nennt man die Krankheit "idiopathisch" ("eigenständig auftretend"), wenn sie vererbt wurde und der Mensch keine weiteren Krankheiten hat, die Epilepsie verursachen können. Wenn man eine konkrete Ursache für das Auftreten der Krampfanfälle ausmachen kann, nennt man sie "symptomatisch" ("kennzeichnend" für ein bestimmtes Leiden).
Manchmal vermutet man eine Hirnschädigung als Ursache, kann diese aber nicht nachweisen - dann spricht man von einer "kryptogenen" ("verborgenen") Epilepsie. Ihr seht schon an dieser kurzen Zusammenfassung, dass es viele verschiedene Epilepsiearten gibt. Damit Betroffene, Ärzte und Familien genau wissen, um welche Krankheitsform es sich handelt und was man dagegen tun kann, wurden detaillierte Listen erstellt, in denen die exakte Einteilung der Epilepsien zusammengefasst wird. Das ist notwendig, weil man den an Epilepsie Erkrankten am besten helfen kann, wenn man die Ursache und Form erkannt hat.
Wie kann die Krankheit genau bestimmt werden?
Bei der Diagnosestellung geht es darum, herauszufinden, welche Epilepsieform vorliegt. Dafür muss der Erkrankte genau von Ärzten untersucht werden. Wichtig ist zunächst, dass die Angehörigen des Patienten detailliert beschreiben, was sie während des Anfalls beobachtet haben. Dabei sollen sie möglichst alle Einzelheiten schildern, damit der Arzt exakt Bescheid weiß.
Am wichtigsten ist jedoch die Erstellung eines so genannten EEGs ("Elektroenzephalografie"). Bei einem EEG werden die elektrischen Aktivitäten der Nervenzellen des Gehirns gemessen und in einer Grafik aufgezeichnet. Dadurch kann man feststellen, ob bei dem Patienten eine erhöhte Bereitschaft für epileptische Anfälle besteht. EEGs erstellt man, wenn der Betroffene wach ist, aber auch ein EEG während des Schlafens kann wichtige Ergebnisse liefern. Oft wird der Schlafende gleichzeitig per Video überwacht, damit die jeweiligen Erkenntnisse anschließend in einen Zusammenhang gebracht werden können.
Um bereits vorliegende Hirnschäden aufzudecken, verwendet man bildgebende Verfahren - dazu gehören die Computer-Tomographie (CT) und die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT), die auch Kernspintomographie genannt wird. Beim CT werden Röntgenbilder des Gehirns, die aus verschiedenen Richtungen aufgenommen wurden, in ein dreidimensionales Bild umgesetzt. Bei der Magnet-Resonanz-Tomographie werden mit Magnetfeldern und elektromagnetischen Wechselfeldern Schnittbilder des Gehirns erstellt, ohne dass Röntgenstrahlen zum Einsatz kommen. So kann man Fehlbildungen in der Hirnrinde, die häufig eine Ursache für Epilepsie sind, aufdecken.
Alle Ergebnisse der genannten Verfahren werden anschließend zusammengefasst und führen in vielen Fällen zu einer Diagnose, so dass der Betroffene dann weiß, an welcher Epilepsieform er erkrankt ist. Leider findet man trotz dieser Untersuchungsmethoden nur bei etwa der Hälfte aller betroffenen Kinder und Jugendlichen die Ursache für die Epilepsie heraus.
Wie wird Epilepsie behandelt?
Wenn ein epileptischer Anfall kein einzelnes Ereignis bleibt oder eine bestimmte Epilepsieform diagnostiziert wurde, wird die Krankheit mit Medikamenten ("Anti-Epileptika") behandelt. Ziel der Behandlung ist es, die Anfälle zu verhindern - je früher man mit der Einnahme der Medikamente beginnt, desto größer ist die Heilungschance. Das ist bei ungefähr 60 bis 70 Prozent der Erkrankten der Fall. Leider kann nicht jede Epilepsie geheilt werden, aber mit Hilfe des richtigen Medikaments wird die Anzahl der Anfälle deutlich verringert.
Die Auswahl des Medikaments wird für jeden Patienten einzeln getroffen. Dabei müssen die Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Sehstörungen, verlangsamtes Denken und Handeln, Übelkeit, Konzentrationsprobleme, Hautausschläge oder Fieber bedacht werden. Der Wechsel auf ein anderes Medikament oder auch eine veränderte Dosierung dämmen die Beschwerden aber meistens ein und lassen sie oft auch ganz verschwinden. Die Behandlung mit Medikamenten erstreckt sich oft über Monate oder Jahre, manchmal auch über ein ganzes Leben. Dabei ist es sehr wichtig, dass sie regelmäßig eingenommen werden, damit keine Verschlechterung der Epilepsie eintritt.
Wenn Kinder und Jugendliche über zwei Jahre hinweg keine Anfälle mehr hatten, wird meist die Medikamentengabe nach und nach verringert, bis im Idealfall keine Behandlung mehr nötig ist. Zwei Drittel der Epileptiker bleiben danach für immer anfallsfrei. Ungefähr 15 Prozent der Epilepsie-Patienten erfahren leider trotz einer Behandlung mit Medikamenten keine Besserung. Manchmal wird dann auch versucht, den kranken Hirnabschnitt bei einer Operation zu entfernen oder die betroffenen Nervenbahnen im Gehirn zu durchtrennen. Auch kann eine Veränderung der Lebensweise die Anfälle verringern, indem man zum Beispiel darauf achtet, ausreichend viel zu schlafen, keinen Alkohol zu trinken und sich nicht übermäßig körperlich anzustrengen.
Einige Erkrankte lernen auch, einen beginnenden Anfall zu unterbrechen, indem sie die so genannte "Bio-Feedback-Methode" einsetzen. Die Patienten haben gelernt, die eigenen Körperfunktionen, wie zum Beispiel den Herzschlag, ihren Blutdruck oder auch die Hirnströme bewusst wahrzunehmen. Sie können diese Funktionen dann auch gezielt beeinflussen und damit sich ankündigenden Krampfanfällen ("Aura") entgegenwirken. Diese Methode setzt konsequentes Training und einen äußerst bewussten Umgang mit dem eigenen Körper voraus.
Alltag und Freunde
Kinder und Jugendliche, die an Epilepsie erkrankt sind, können ganz normal in die Schule gehen, wie alle anderen auch. Trotzdem haben sie es manchmal nicht leicht, sich in die Schulgemeinschaft oder eine Clique einzugliedern. Sie haben oft Angst, einen Anfall zu bekommen und damit ihre Freunde zu verschrecken oder sogar ausgelacht zu werden, weil diese über ihre Krankheit nicht genug wissen. Es ist nicht leicht für die Betroffenen, auf Aktivitäten zu verzichten, an denen sie wegen ihrer Epilepsie nicht teilnehmen können.
Wenn die Medikamente nicht so optimal wirken, dass die Anfälle komplett ausbleiben, besteht bei manchen Sportarten, wie zum Beispiel Geräteturnen, im Falle eines plötzlichen Anfalls ein zu großes Verletzungsrisiko. Auch Schwimmen ist wegen Ertrinkungsgefahr zu gefährlich, wenn nicht sicher ist, dass kein Anfall droht. Daher müssen sich die Betroffenen bei diesen Aktivitäten zurückhalten und werden dann leider oft als Außenseiter gesehen, ohne dass sie etwas dafür können.
Es ist daher eine gute Sache, freundlich nachzufragen, warum ein Mitschüler bestimmte Dinge nicht mitmacht und sich zurückhält. Meistens hat sie oder er wirklich gute Gründe, wie eine Epilepsie-Erkrankung. Mit einer netten Frage kann man anderen auch Mut machen, offen über ihr Problem oder ihre Krankheit zu sprechen, für die sie sich nicht schämen müssen. (Quelle: helles-koepfchen.de - Bereich: Wissen, Menschen und Natur)